Advent, Advent (23)

Bildschirmfoto-2015-12-22-um-21.21.18 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Heute im Adventskalender: die fünf Platten des Jahres.

5. Holly Herndon: «Platform»

Hier mussten musikjournalistische Routinen (die es natürlich gibt) über Bord geworfen werden, einfach, weil das gängige Vokabular nicht reichte, um über «Platform» zu schreiben. Denn es geht Holly Herndon auf diesem Album um eine Neugestaltung der Gemeinschaft, des Internets und des Zusammenlebens: «Wir brauchen neue Fantasien, neue Archetypen, neue Strategien und neue Arten zu lieben», schrieb sie in ihrem Blog. «Platform» ist ihr musikalischer Vorschlag eines möglichen Codes. Und wer diesen zu entziffern und mitzugestalten versucht, findet allenfalls neue Ausdrucksformen für rücksichtsvollere Beziehungen, die aus der digitalen Welt zurück in den Lebensalltag weisen können.

0004676356 10 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

4. Vince Staples: «Summertime '06»

Es war drückend heiss im Sommer 15 und wem das zu sonnig war, schloss sich ein und hörte Vince Staples' klaustrophobischen Soundtrack zu seiner desolaten Summertime, die bereits neun Jahre zurück liegt. Und diese Gangstererinnerungen aus Long Beach machten süchtig, was neben den Raps von Staples vor allem an den grossartigen Beats und einem siebten Sinn für Timing dieser Stories – inklusive Cliffhanger – lag. Mein Binge-Listening-Erlebnis des Jahres.

33a9265391b2dcfc1f37a725f309746c.1000x1000x1 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

3. Unknown Mortal Orchestra: «Multi-Love»

Natürlich: diese Platte wird zuerst mal bestimmt von den zwei Singles, dem Titelsong und dem tanzenden «Can't Keep Checking My Phone». Doch auf diesem Album der unklaren Beziehungsstände gibts noch viel mehr von diesen schillernden Uneindeutigkeiten, die vorab die zweite Hälfte von «Multi-Love» bestimmen. «Is it wrong to have a zone that isn't monochrome?», fragt Ruban Nielson ganz zum Schluss. Und selbstverständlich ist das eine rhetorische Frage.

unknown-mortal-orchestra-multi-love Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

2. Julia Holter: «Have You in My Wilderness»

Julia Holters Alben interessierten mich immer sehr, doch sie waren mir immerzu zu distanziert. Auf «Have You in My Wilderness» ist diese Distanz erst mal weg, denn einladend und verführend wirkt diese Songsammlung, die für einmal auf eine überlagernde Erzählung verzichtet. Doch natürlich: Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen, und so zeigt sich allmählich ein «second face» in diesen wunderbar arrangierten Taschensinfonien. Schlicht fantastisch.

Julia Holter-cover Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

1. Sufjan Stevens: «Carrie & Lowell»

«And I don't know where to begin?» Vielleicht hier: Ich kenne kein Album, das mich ähnlich und immerzu zu Tränen rührt. Weil Sufjan Stevens besingt auf diesem Album zwar den Tod seiner Mutter (und seine schwierige Beziehung zu ihr), aber bei aller Trauerarbeit ist «Carrie & Lowell» ein Liedzyklus, der weit über das Private hinausweist und auch eine grosse Ode an das Leben ist. Bevor es zu pathetisch wird: «Carrie & Lowell» ist nicht weniger als ein Wunder.

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Die Jahresplatten 2015

30. Micachu & The Shapes: «Good Sad Happy Bad»
29. Mount Eerie: «Sauna»
28. Tame Impala: «Currents»
27. Various Artists: «In a Moment... Ghost Box»
26. Lower Dens: «Escape from Evil»
25. Yo La Tengo: «Stuff Like That There»
24. Aphex Twin: «Computer Controlled Acoustic Instruments Pt 2»
23. Viet Cong: «Viet Cong»
22. Andreas Spechtl: «Sleep»
21. Flying Saucer Attack: «Instrumentals 2015»
20. The Cairo Gang: «Goes Missing»
19. Hudson Mohawke: «Lantern»
18. Car Seat Headrest: «Teens of Style»
17. Destroyer: «Poison Season»
16. Kendrick Lamar: «To Pimp a Butterfly»
15. Colleen: «Captain of None»
14. Oneohtrix Point Never: «Garden of Delete»
13. Earl Sweatshirt: «I Don't Like Shit, I Don't Go Outside»
12. Ducktails: «St. Catherine»
11. Tocotronic: «Tocotronic»
10. Tyondai Braxton: «HIVE1»
9. Helen: «The Original Faces»
8. Panda Bear: «Panda Bear Meets the Grim Reaper» // «Crosswords EP»
7. Deerhunter: «Fading Frontier»
6. DJ Koze: «DJ-Kicks»
5. Holly Herndon: «Platform»
4. Vince Staples: «Summertime '06»
3. Unknown Mortal Orchestra: «Multi-Love»
2. Julia Holter: «Have You in My Wilderness»
1. Sufjan Stevens: «Carrie & Lowell»

Zum Nachlesen: Teil 1 & Teil 2 & Teil 3 & Teil 4

Zu den Jahresliedern gehts hierlang.

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