Sufjan Stevens: «Carrie & Lowell»

sufjan Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Nach dem ausufernden «The Age of Adz» veröffentlicht Sufjan Stevens mit «Carrie & Lowell» eine Folkplatte über seine verstorbene Mutter und seinen Stiefvater, bzw. über das Leben und den Tod, kurz: über fast alles. Ein erster Hördurchlauf.

1. Death with Dignity
Ja, wo fängt jemand wie Sufjan Stevens einen Liedzyklus an, über den er im Pitchfork-Interview sagte, dass dies kein Kunstprojekt sei, sondern sein Leben? Nun, die akustische Gitarre zupft hell, das Klavier ist warm, und der Sänger fragt sich: «And I don't know where to begin?» Und: «What is that song you sing for the dead?» Schliesslich: «I forgive you, mother, I can hear you // And I long to be near you», ehe die Musik aufhört und einem Himmelschor weicht. «But every road leads to an end».

2. Should Have Known Better
Einer von zwei bereits bekannten Songs aus der Platte, der dunkel beginnt, an das plötzliche Verschwinden von Carrie, seiner Mutter erinnert («When I was three, three maybe four//She left us at that video store//Be my rest, be my fantasy») – und auch an die «Oregon breeze», dort, wo Sufjan einige Sommer mit Carrie und Lowell verbracht hat. Dann wirds leichter, mit den Sufjan-typischen Weihnachtsschellen, denn: «My brother had a daughter // The beauty that she brings, illumination». Es geht weiter...

3. All of Me Wants All of You
...und zwar dichter, verzweifelter und expliziter auch («You checked your text while I masturbated//Manelich (?), I feel so used».) Oregon wieder («Found myself on Spencer's Butte//Traced your shadow with my shoe»), doch nur noch ein Geist ist geblieben. Und all of me will alles von Dir.

4. Drawn to the Blood
Es geht auf Sinnsuche und da kann ein gläubiger Mensch wie Sufjan Stevens schon mal Gott anrufen: «For my prayer has always been love // What did I do to deserve this?». Nun, Antworten gibts keine, doch die konkrete Gitarre verflüchtigt sich wieder in der Luft (wie auch bisher klar wird, dass hier nicht mehr der «Seven Swans»-Sufjan für die Musik verantwortlich zeichnet, sondern einer, der eben auch «The Age of Adz» geschrieben hat. Weil: bei aller Reduktion klingt das Artifizielle und Ätherische seiner letzte Platte doch auch nach).

5. Eugene
Ein wunderbares, kleines Lied mit weiteren Erinnerungen und Sufjan am Totenbett und der Frage: «What's the point of singing songs// If they'll never even hear you?»

6. Fourth of July
Ein Schlaflied am Totenbett seiner Mutter, die Sufjan zu beruhigen versucht, denn: «We're all gonna die.» Und sei es am Nationalfeiertag.

7. The Only Thing
Gott und das Fabelhafte finden auf diesem Album natürlich auch ihren Platz, beispielsweise in diesem Song, bei dem einmal mehr auffällt, wie wunderbar Sufjan Stevens diese kleinen Songs arrangiert und aufgenommen hat.

8. Carrie & Lowell
Das Titelstück – wiederum mit Gottheiten, Schlafmittel, Erinnerungen. Auch wenn ich nicht genau weiss, was hier alles im Text assoziiert wird, das geht schon tief.

9. John My Beloved
«Jesus I need you, be near, come shield me //From fossils that fall on my head»: Fromm ja, frömmlerisch nein, denn erbauend ist hier weiterhin nicht viel, und Gott scheint weg zu sein in diesem Stück, das mit präpariertem Klavier instrumentiert ist. Einatmen...

10. No Shade in the Shadow of the Cross
...und zwar frische Luft, die durch das geöffnete Fenster hereinströmt. Die Dämonen, sie bleiben: »Fuck me, I'm falling apart.»

11. Blue Bucket of Gold
Auf «Carrie & Lowell» gibts glücklicherweise keine Erlösung, denn das wäre zu kitschig. Deshalb dieser Schluss, an dem die TeilnehmerInnen der Silent-Listening-Parties einige Tränen aus den Gesichtern wischen. Und so mache ich es nun auch.

Sufjan Stevens: «Carrie & Lowell» (Asthmatic Kitty/Irascible) erscheint am 27. März.

a2231815864 10 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

PS: Ein Sample aus Sufjan Stevens' Song «All For Myself» ist auf dem heute bereits veröffentlichten Album «To Pimp A Butterfly» von Kendrick Lamar zu hören, und zwar im Track «Hood Politics». Auch das ein jenseitiges Album (feat. Flying Lotus und viele andere), das zum Schluss mit dem Geist von 2 Pac spricht.

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